Die folgende Unterrichtseinheit wird ihnen präsentiert von:

Überblick | kommentiert
Aus dem Abiturerlass hier die inhaltlichen Aspekte
01 – Über den Wert der Arbeit
02 – Entwicklung der Arbeitslosigkeit

1991 bis 2004: Anstieg der Arbeitslosigkeit
- In Westdeutschland stiegen die Arbeitslosenzahlen von 1,6 Mio. auf 2,8 Mio., die Quote von 6,2 % auf 9,4 %.
- In Ostdeutschland stieg die Arbeitslosenzahl von 1 Mio. auf 1,6 Mio., die Quote verdoppelte sich auf 20,1 %.
- Es gab Schwankungen: Zwischen 1997 und 2001 ging die Arbeitslosigkeit zeitweise zurück.
2005: Hartz-IV-Reform und sprunghafter Anstieg
- Durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe stieg die Zahl der registrierten Arbeitslosen stark an (+480.000 auf 4,86 Mio.).
- Der sogenannte Hartz-IV-Effekt machte rund 380.000 neue Arbeitslose aus.
2006 bis 2008: Deutlicher Rückgang
- Durch konjunkturelle Erholung sank die Arbeitslosigkeit:
- 2006: 4,49 Mio. (–370.000)
- 2007: 3,76 Mio. (größter Rückgang seit 1950)
- 2008: nochmals –500.000, Quote bei 7,8 %
2009: Finanzkrise
- Kurzzeitiger Anstieg, v. a. in Westdeutschland (+175.000 Arbeitslose).
2005 bis 2019: Langfristiger Rückgang
- Westdeutschland: –1,5 Mio. Arbeitslose (auf 1,72 Mio.)
- Ostdeutschland: –1,1 Mio. (auf 544.000)
- 2019: Deutschlandweite Quote bei 5,0 % – niedrigster Stand seit Jahrzehnten
2020–2022: Corona und Erholung
- Pandemiebedingter Anstieg der Arbeitslosigkeit 2020 auf 2,7 Mio., Quote: 5,9 %
- In den Folgejahren leichter Rückgang
2022 bis 2024: Erneuter Anstieg
- Zahl der Arbeitslosen stieg von 2,4 auf 2,8 Mio.
- Quote wuchs von 5,3 % auf 6,0 %
BA-X (Stellenindex der Bundesagentur für Arbeit)
Der BA-X misst die Nachfrage nach Arbeitskräften (Basisjahr 2015 = 100):
- 2009 (Finanzkrise): starker Einbruch auf 55 Punkte
- 2018: Höchststand bei 134 Punkten
- 2020 (Corona): starker Rückgang auf unter 100
- 2022: erneuter Höchstwert bei 138 Punkten
- 2025: Rückgang auf 103 Punkte – zeigt eine abnehmende Arbeitskräftenachfrage
Wir merken uns
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist stark von wirtschaftlichen Zyklen und politischen Maßnahmen beeinflusst. Besonders prägend waren die Hartz-IV-Reform, die Finanzkrise, die Corona-Pandemie und der Fachkräftemangel. Seit Mitte der 2000er Jahre gab es insgesamt eine positive Entwicklung – allerdings mit Rückschlägen in Krisenzeiten. Die Nachfrage nach Arbeitskräften schwankt parallel zu diesen Entwicklungen.
Informationen stammen aus: Zahlen und Fakten
03 – Arten der Arbeitslosigkeit

04 – Folgen der Arbeitslosigkeit
Arbeitslosigkeit ist ein komplexes gesellschaftliches Phänomen mit vielfältigen und oft tiefgreifenden Folgen – für den Einzelnen, seine Familie und die Gesellschaft insgesamt. Sie beeinträchtigt psychisches Wohlbefinden, körperliche Gesundheit, soziale Teilhabe und finanzielle Stabilität.
Für die Politik bedeutet das: Arbeitsmarktpolitik darf nicht nur darauf abzielen, Menschen „schnellstmöglich in Arbeit“ zu bringen, sondern muss auch präventiv, ganzheitlich und unterstützend wirken. Dazu gehören:
- gute Bildung und Qualifizierung,
- psychosoziale Begleitung,
- faire Löhne,
- eine menschenwürdige Grundsicherung und
- die Entstigmatisierung von Arbeitslosen.
Denn Arbeit ist mehr als Einkommen – sie ist ein zentrales Element für Selbstwert, Teilhabe und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Historisches Beispiel: Marienthal-Studie
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die sozialen und psychologischen Folgen von Arbeitslosigkeit ist die Marienthal-Studie aus den 1930er Jahren. In einem österreichischen Arbeiterdorf verloren fast alle Einwohner durch die Schließung einer Textilfabrik ihre Arbeit.
Das Forschungsteam stellte fest, dass die Menschen nicht – wie damals erwartet – protestierten oder politisch aktiv wurden, sondern sich zurückzogen, resignierten und apathisch wurden. Diese Studie ist bis heute ein Meilenstein der Sozialforschung und zeigt, wie tiefgreifend Arbeitslosigkeit auf eine ganze Gemeinschaft wirken kann.
05 – Arbeitsmarktpolitik
Momentaufnahme
Instrumente der Arbeitsmarktpolitik
In Deutschland existieren zwei zentrale finanzielle Unterstützungsleistungen für Menschen ohne ausreichendes Einkommen: Arbeitslosengeld (ALG) und Bürgergeld. Diese Leistungen unterscheiden sich hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen, der Höhe und der Bezugsdauer.
Arbeitslosengeld (ALG)
Das Arbeitslosengeld ist eine Versicherungsleistung, die von der Bundesagentur für Arbeit gewährt wird.
Voraussetzungen:
- Arbeitslosigkeit: Keine Beschäftigung oder Beschäftigung unter 15 Stunden pro Woche.
- Arbeitslosmeldung: Persönliche oder elektronische Meldung bei der Agentur für Arbeit.
- Anwartschaftszeit: Mindestens 12 Monate versicherungspflichtige Beschäftigung innerhalb der letzten 30 Monate.
Höhe:
- 60 % des letzten Nettogehalts; 67 % bei mindestens einem Kind.
Bezugsdauer:
- 6 bis 12 Monate für Personen unter 50 Jahren, abhängig von der Dauer der vorherigen Beschäftigung.
- Bis zu 24 Monate für Personen ab 58 Jahren mit mindestens 48 Monaten versicherungspflichtiger Beschäftigung in den letzten 5 Jahren.
Bürgergeld
Das Bürgergeld ersetzt seit dem 1. Januar 2023 das frühere Arbeitslosengeld II (Hartz IV) und dient der Grundsicherung für erwerbsfähige Personen.
Voraussetzungen:
- Erwerbsfähigkeit: Fähigkeit, mindestens 3 Stunden täglich zu arbeiten.
- Alter: Mindestens 15 Jahre alt und unterhalb der Regelaltersgrenze für die Rente.
- Wohnsitz: Lebensmittelpunkt in Deutschland.
- Hilfebedürftigkeit: Der Lebensunterhalt kann nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen gedeckt werden.
Leistungen:
- Regelsatz: 563 Euro monatlich für alleinstehende Erwachsene (Stand 2025).
- Zusätzliche Leistungen: Kosten für Unterkunft und Heizung, Mehrbedarfe (z. B. für Alleinerziehende), sowie Leistungen für Bildung und Teilhabe für Kinder. Wikipedia
Vermögensfreibeträge:
- Karenzzeit: Im ersten Bezugsjahr gelten höhere Freibeträge (z. B. 40.000 Euro für Alleinstehende).
- Ab dem zweiten Jahr: Vermögensfreibetrag von 15.000 Euro pro Person in der Bedarfsgemeinschaft. Stiftung Warentest+2Wikipedia+2Finanz.de+2
Übergang von Arbeitslosengeld zu Bürgergeld
Nach dem Auslaufen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld kann Bürgergeld beantragt werden, sofern die oben genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies betrifft insbesondere Personen, die weiterhin arbeitslos sind und deren finanzielle Mittel nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu sichern.
Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration
Die Arbeitsmarktpolitik in Deutschland zielt darauf ab, Menschen in Beschäftigung zu bringen und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern.
Förderinstrumente:
- Weiterbildungsgeld: Monatliche Unterstützung für die Teilnahme an abschlussbezogenen Weiterbildungen.
- Einstiegsgeld: Finanzielle Unterstützung beim Übergang in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung oder Selbstständigkeit.
- Gründungszuschuss: Förderung für Arbeitslose, die eine selbstständige Tätigkeit aufnehmen möchten.Wikipedia
Sanktionen:
- Bei Pflichtverletzungen, wie z. B. der Ablehnung zumutbarer Arbeit oder fehlender Mitwirkung, können Leistungen gekürzt werden. Die Sanktionen sind gestaffelt und berücksichtigen die Schwere und Häufigkeit der Pflichtverletzung.
Diese Maßnahmen und Leistungen sollen sicherstellen, dass erwerbsfähige Personen in Deutschland sowohl finanziell abgesichert sind als auch die notwendige Unterstützung erhalten, um wieder in den Arbeitsmarkt integriert zu werden.
06 – Arbeitskampf
Tarifautonomie
Kleines „Begriffslexikon“
Dass den Tarifparteien – also Arbeitgebern und Gewerkschaften – bei ihren Verhandlungen niemand reinreden darf, auch nicht der Staat, garantiert die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie. Allerdings kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklären, wenn die Tarifvertragsparteien dies gemeinsam beantragen und es im öffentlichen Interesse geboten erscheint. Ebenfalls im Grundgesetz verankert ist die Koalitionsfreiheit, die das Recht der Beschäftigten und der Arbeitgeber bezeichnet, Verbände zu gründen und sich diesen anzuschließen – oder ihnen fernzubleiben. Kommen die Tarifparteien zu keiner Einigung, ist der Arbeitskampf ein legitimes Mittel, um gewerkschaftlichen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Dazu gehört der Streik, dem in der Regel eine Urabstimmung vorausgeht. Bei streitigen Verhandlungen können die Tarifparteien außerdem eine Schlichtung anrufen und eine paritätisch besetzte Kommission bilden, die ein oder zwei unparteiische Vorsitzende leiten. Während der Laufzeit eines Tarifvertrags gilt dagegen die Friedenspflicht, also der Verzicht auf Arbeitskampfmaßnahmen. Das Günstigkeitsprinzip wiederum schreibt vor, dass vom Tarifvertrag abweichende Abmachungen nur zulässig sind, wenn sie zugunsten der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers ausfallen. (verdi.de)
Arbeitskampf
Zielorientierung | Tarifverträge
Ein demokratisches Grundrecht | ein demokratieschaffendes Grundrecht
Fragen zum Text
- Welche Widersprüche in der öffentlichen Wahrnehmung von Demokratie und Protesten stellt der Autor heraus? Nenne Beispiele aus dem Text.
- Was meint der Autor mit dem Begriff der „halben Demokratie“ im Zusammenhang mit Arbeit und Wirtschaft? Wie begründet er diese Sichtweise?
- Der Text beschreibt Streiks nicht nur als Kampf um Lohn, sondern auch um Zeit, Teilhabe und Gerechtigkeit. Was sagt das über den Wandel der Arbeitswelt – und welche Bedeutung misst der Autor Arbeitskämpfen für die Gesellschaft insgesamt bei?
Das Streikrecht einfach erklärt
Kontroverse

Fallbeispiel
Übungstexte
Zwischen Tarif und Gesetz – Was ist Arbeit eigentlich wert?
Ein Kommentar zur aktuellen Debatte um den Mindestlohn und die Rolle der Tarifautonomie
Autorentext
In der aktuellen politischen Debatte erlebt ein altes Thema neue Aufmerksamkeit: Der gesetzliche Mindestlohn soll auf 15 Euro steigen – das fordern Grüne, Linke und Gewerkschaften. Die Gegenseite warnt vor Übergriffen in die Tarifautonomie, vor Arbeitsplatzverlusten und Belastungen für kleinere Betriebe. Wieder einmal kreuzen sich zwei Grundfragen des Arbeitsmarkts: Was ist Arbeit wert – und wer bestimmt das?
Dass ein Mensch für seine Arbeit zumindest so entlohnt wird, dass er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, sollte in einem reichen Land wie Deutschland eine Selbstverständlichkeit sein. Dennoch war der gesetzliche Mindestlohn lange umstritten – eingeführt wurde er erst 2015. Seither ist er mehrfach gestiegen, zuletzt auf 12,41 Euro pro Stunde. Doch wie viel davon am Monatsende übrig bleibt, reicht in vielen Städten nicht mehr für Miete, Strom und Lebenshaltungskosten. Die Forderung nach 15 Euro ist daher nicht aus der Luft gegriffen, sondern Ausdruck wachsender sozialer Spannungen in einem Land, das sich soziale Marktwirtschaft nennt.
Doch die Debatte berührt mehr als nur eine Zahl. Sie rührt an das Selbstverständnis der Tarifautonomie – das Prinzip, dass Löhne und Arbeitsbedingungen in Deutschland zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften frei ausgehandelt werden. Dieses Prinzip ist nicht nur ein rechtlicher Eckpfeiler, sondern ein demokratischer Grundpfeiler: Es sichert, dass Arbeit nicht einseitig diktiert, sondern im Aushandlungsprozess gestaltet wird.
Das Problem ist nur: Die Realität hat sich längst von diesem Ideal entfernt. Der Anteil tarifgebundener Beschäftigter ist seit Jahren rückläufig. Gerade im Niedriglohnsektor – etwa in der Pflege, im Einzelhandel, in der Gastronomie – sind Tarifverträge die Ausnahme, nicht die Regel. Und wo es keine Tarifbindung gibt, gibt es keine Verhandlung auf Augenhöhe. Dort bestimmt nicht ein Aushandlungsprozess, sondern die Verwertungskalkulation den Lohn.
In dieser Lücke springt der Gesetzgeber ein – mit dem Mindestlohn als Korrektiv. Doch wie weit darf dieses Eingreifen gehen, ohne die Tarifautonomie auszuhöhlen? Genau hier beginnt das politische Dilemma. Der Staat ist in der Pflicht, soziale Mindeststandards zu setzen, wenn der Markt sie nicht freiwillig wahrt. Gleichzeitig soll er nicht zur Schattengewerkschaft werden.
Ein Mindestlohn von 15 Euro wäre ein starkes Signal – politisch wie gesellschaftlich. Aber er muss eingebettet sein in eine größere Strategie: die Stärkung der Tarifbindung, die Unterstützung von Branchenlösungen, die Förderung von Flächentarifverträgen. Wer nur an der Lohnschraube dreht, ohne Strukturen zu stärken, überdreht sie schnell.
Die Debatte um den Mindestlohn ist daher auch eine Debatte über Gerechtigkeit, Würde und die Zukunft der Arbeitsgesellschaft. Sie ist unbequem, aber notwendig. Und sie führt uns zurück zur eigentlichen Frage: Wieviel ist Arbeit wert – und wem trauen wir zu, das auszuhandeln?