In der Wirtschaft ist „Größe“ oft ein strategischer Vorteil: Große Unternehmen können günstiger produzieren, effizienter arbeiten, neue Märkte erschließen und globale Konkurrenz besser abwehren. Deshalb schließen sich Unternehmen regelmäßig zusammen – entweder durch Übernahmen oder Fusionen. Derartige Unternehmenszusammenschlüsse führen zu dem, was wir hier und was man gemeinin als wirtschaftliche Konzentration bezeichnet: Es gibt so weniger und dafür größere Anbieter in einem Markt.
Auf den ersten Blick klingt das sinnvoll, zumindest aus Sicht der Unternehmungen: weniger Wettbewerb kann bedeuten: mehr Stabilität, weniger Doppelarbeit, mehr Investitionen. Doch es gibt auch Risiken: Wenn nur noch wenige Unternehmen einen Markt dominieren, kann das Wettbewerb, Vielfalt und Innovation gefährden. Preise steigen, kleinere Anbieter verschwinden, und am Ende haben Verbraucher oft das Nachsehen.
Gerade in der Europäischen Union, die auf einen offenen und fairen Binnenmarkt setzt, ist wirtschaftliche Konzentration ein sensibles Thema. Die EU-Kommission (externer Link) prüft große Zusammenschlüsse genau – vor allem, wenn sie die Marktmacht eines Unternehmens zu stark erhöhen könnten.
Für euch als politisch und wirtschaftlich interessierte junge Menschen sollte es spannend sein zu hinterfragen:
Wo liegt die Grenze zwischen sinnvoller Unternehmensstrategie und gefährlichem Machtmonopol? Und: Wie kann und soll die Politik hier eingreifen?
Kleine Einführung
Gliederung des Themas – Sachaspekte
1. Begriffsklärung: Was ist wirtschaftliche Konzentration?
- Wie ist wirtschaftliche Konzentration definiert?
- Welche Formen gibt es?
- Differenzierung nach Produktionsstufen: horizontale, vertikale, laterale Zusammenschlüsse
- Differenzierung nach Grad des Zusammenschlusses: Konzentration, Fusion, Kooperation
2. Gründe und Motivation für Unternehmenszusammenschlüsse
- Streben nach Marktmacht und Wachstum
- Effizienzgewinne, Skaleneffekte
- Zugang zu neuen Märkten, Technologien oder Ressourcen
3. Effekte wirtschaftlicher Konzentration
- Positive Effekte: Innovationszuwachs, Effizienz, globale Wettbewerbsfähigkeit
- Negative Effekte: Monopolbildung, Preissteigerungen, Einschränkung von Marktvielfalt
4. Unternehmenskonzentration und der Binnenmarkt
- Wettbewerb im europäischen Binnenmarkt
- Grenzüberschreitende Zusammenschlüsse
- Rolle der EU-Kommission bei der Prüfung (Fusionskontrolle)
5. Beispiele und Fallstudien
- Bekannte Zusammenschlüsse (z. B. Bayer & Monsanto, Microsoft & Activision)
- Eingriffe der EU-Kommission (z. B. untersagte Fusionen)
6. Kritische Reflexion
- Wann ist ein Zusammenschluss schädlich?
- Marktbeherrschung vs. Wettbewerbsstärkung
- Rolle der Politik: regulieren, fördern oder zurückhalten?
FALLBEISPIEL

Die „ElektroSchwarzwald GmbH“ ist ein mittelständischer Hersteller von Elektroautos mit Sitz im Südschwarzwald. Das Unternehmen steht für nachhaltige Mobilität „Made in Germany“ und hat sich überregional bereits einen Namen gemacht. Doch der Wettbewerb ist hart – große internationale Konzerne dominieren den Markt, die Kunden erwarten Komplettlösungen, und technologische Entwicklungen schreiten schnell voran.
Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, prüft ElektroSchwarzwald verschiedene Formen wirtschaftlicher Konzentration. Wir führen sie uns am gegebenen Beispiel noch einmal vor Augen:
Horizontale Konzentration – Zusammenschluss mit einem Wettbewerber.
ElektroSchwarzwald überlegt, sich mit einem anderen Elektroautohersteller aus Bayern zusammenzutun. Beide Unternehmen produzieren ähnliche Fahrzeugtypen – kleine, stadtfreundliche E-Autos. Ein solcher horizontaler Zusammenschluss würde es ermöglichen, Entwicklungskosten zu teilen, die Produktion effizienter zu gestalten und mit vereinter Marktstärke gegen internationale Konkurrenz anzutreten.
Beispielhafte Idee: Bildung eines neuen Joint Brands „ElektroAlpen“, um gemeinsam den urbanen E-Automarkt in Deutschland und Österreich zu dominieren.
Vertikale Konzentration – Kontrolle entlang der Wertschöpfungskette
Ein weiterer Plan: ElektroSchwarzwald möchte seine Abhängigkeit von Zulieferern verringern. Dazu zieht die Geschäftsleitung in Betracht, einen Hersteller von Batteriesystemen aus dem Raum Stuttgart zu übernehmen. Dieser Zusammenschluss würde es dem Unternehmen ermöglichen, zentrale Komponenten selbst zu produzieren und den Produktionsprozess besser zu kontrollieren – Alles aus einer Hand: von der Batterie bis zum fertigen Auto!
Beispielhafte Idee: Gründung eines „Powerlabs Südwest“ zur internen Batterieproduktion.
Laterale Konzentration – Bündelung unterschiedlicher Leistungen
Die innovativste Überlegung geht in die Richtung einer lateralen Konzentration. Hierbei geht es nicht um direkte Konkurrenz oder Lieferketten, sondern um ergänzende Angebote aus ganz anderen Branchen. Die Idee: ein Rundum-Paket für Elektromobilität, das mehr bietet als nur ein Auto.
Das Management entwickelt folgendes Konzept:
- Das Elektroauto von ElektroSchwarzwald
- Eine eigens entwickelte Autoversicherung, maßgeschneidert für E-Fahrzeuge
- Ein spezieller Ökostromtarif für zuhause und unterwegs, gemeinsam mit einem Energieversorger
- Eine App, mit der man Auto, Versicherung, Ladesäulen und Stromverbrauch steuern kann
Durch diese Kombination möchte man sich attraktiver und einzigartig auf dem Markt positionieren – ganz nach dem Motto: „E-Mobilität aus einer Hand – aus dem Schwarzwald für ganz Europa.“
Beispielhafte Partner: „Südversicherer AG“ und die „SchwarzwaldEnergie GmbH“
Formen der Zusammenarbeit – Konzentration, Fusion oder Kooperation?
Die Geschäftsleitung wägt bei den konkreten Überlegungen zu Zusammenschlüssen verschiedene Modelle ab:
- Eine Fusion mit dem bayerischen Hersteller von Elektroautos, den wir hier aus marktstrategischen Gründen nicht näher nennen wollen, würde ein großes, neues Unternehmen schaffen, das ein gewichtiger Player auf dem Markt der E-Mobilität wäre – es würde aber auch Risiken und Kontrollverlust bedeuten.
- Die Übernahme des Batterieherstellers wäre eine klassische Konzentration innerhalb der Unternehmensstruktur und durchaus überlegenswert.
- Das „Rundum-Paket“ mit Versicherer und Stromanbieter könnte zunächst als Kooperation (z. B. Joint Venture oder Interessengemeinschaft) organisiert werden – so bliebe man flexibel und als Firma eigenständig.
Lasst uns den Fall aus verschiedenen Perspektiven bewerten. Sinnvoll wäre es nun, für diese Betrachtung verschiedene Rollen zu internalisieren. Mein Vorschlag:
Rollen & Gruppen
Unternehmensleitung ElektroSchwarzwald (3)
- Entwickelt eine konkrete Strategie: Horizontale Fusion, vertikale Übernahme oder laterale Kooperation?
- Argumentiert für wirtschaftliche Vorteile, Positionierung am Markt, Innovationskraft
Marktanalyse-Team (2–3)
- Bewertet Marktrisiken, Wettbewerb, mögliche Effizienzgewinne
- Liefert Faktenbasis für Entscheidung der Geschäftsleitung
Kooperationspartner (je 2 Schüler pro Rolle):
- Versicherer Südversicherer AG
- Energieversorger SchwarzwaldEnergie
- Bayerischer E-Auto-Hersteller
- Batteriehersteller StuttgartCell
EU-Kommission / Generaldirektion Wettbewerb (2)
- Prüft geplante Maßnahme auf wettbewerbsrechtliche Bedenken
- Fragt kritisch nach: Marktmacht? Verbraucherinteressen? Wettbewerbsverzerrung?
- Kann am Ende Auflagen erteilen oder Einspruch einlegen
Inwieweit könnte die EU-Kommission als Akteur bedeutsam werden?

Wenn ein Unternehmen wie die ElektroSchwarzwald GmbH überlegt, sich mit anderen Firmen zusammenzuschließen – etwa mit einem Batteriehersteller, einem Versicherer oder einem Energieversorger –, dann betrifft das nicht nur die Beteiligten selbst. Besonders dann, wenn solche Zusammenschlüsse
- signifikant an Größe zunehmen,
- grenzüberschreitend wirken
- oder am Ende ganze Märkte beeinflussen,
wird ein wichtiger Akteur aktiv: die Europäische Kommission.
Die EU-Kommission – Hüterin des fairen Wettbewerbs
Die Europäische Kommission ist nicht nur ein Verwaltungsgremium der EU, sondern auch eine mächtige Kontrollinstanz im Bereich der Wettbewerbspolitik. Ihre Aufgabe besteht darin, den Wettbewerb im Binnenmarkt offen, fair und funktionsfähig zu halten. Das ist bedeutsam, denn ein funktionierender Wettbewerb sichert nicht nur niedrige Preise und Innovation, sondern schützt auch kleinere Unternehmen und letztlich uns, die Verbraucher, vor marktbeherrschenden Strukturen.
Aufgaben und Funktionen der Kommission im Bereich Konzentration
Die Kommission prüft unter anderem:
- Fusionen und Übernahmen, die einen bestimmten Umsatzschwellenwert überschreiten (auch wenn die beteiligten Firmen nicht aus dem EU-Ausland stammen, aber in der EU tätig sind),
- Kartellabsprachen und unfaire Geschäftspraktiken,
- Staatliche Beihilfen, die den Wettbewerb verzerren könnten.
Im Falle von ElektroSchwarzwald könnte die Kommission z. B. einschreiten, wenn:
- der geplante Zusammenschluss mit einem großen Konkurrenten in Süddeutschland eine marktbeherrschende Stellung entstehen lässt,
- ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem Stromanbieter den Marktzugang anderer Energieversorger erschwert, oder
- durch eine Kooperation ein Preisabsprachen-ähnliches Verhalten zu erwarten wäre.
Werkzeuge der Kommission
Um einen fairen, offenen und funktionierenden Wettbewerb zu gewährleisten, hat die Kommission wirksame Instrumente, mit denen sie aktiv einwirken kann:
- Sie kann Fusionen verbieten oder nur unter strengen Auflagen zulassen (z. B. Verkauf von Unternehmensteilen).
- Sie kann bei Verstößen hohe Geldbußen verhängen (bis zu 10 % des Jahresumsatzes).
- Sie kann staatliche Subventionen zurückfordern, wenn sie als unzulässige Beihilfen gewertet werden.
Weitere Akteure
- Generaldirektion Wettbewerb (DG COMP): Fachabteilung der Kommission, zuständig für Wettbewerbsfragen, Marktanalysen und Verfahren.
- Europäischer Gerichtshof (EuGH): Letzte Instanz bei Streitigkeiten – Unternehmen können Kommissionsentscheidungen anfechten.
- Nationale Wettbewerbsbehörden: Arbeiten mit der Kommission zusammen, besonders bei kleineren, nationalen Fällen.
- Unternehmen und Verbände: Können sich aktiv an Prüfverfahren beteiligen und Stellungnahmen abgeben.
Steigen wir etwas deeper ein:
Wenn sich zwei oder mehr Hersteller von Elektrofahrzeugen zusammenschließen wollen, greift innerhalb der EU die EU-Fusionskontrollverordnung (VO Nr. 139/2004) – vorausgesetzt, bestimmte Umsatzschwellen werden überschritten (weltweit mindestens 5 Mrd. €, davon mindestens 250 Mio. € in der EU für mindestens zwei beteiligte Unternehmen).
Auch Zusammenschlüsse unterhalb dieser Schwelle können durch den sogenannten „Artikel 22“-Mechanismus („niederländische Klausel“) an die Kommission verwiesen werden, wenn sie wettbewerblich relevant sind.
Ablauf der EU-Fusionskontrolle
Phase | Frist | Was wird geprüft? | Mögliche Ergebnisse |
---|---|---|---|
Phase I – Vorprüfung | 25 Arbeitstage | Liegt eine erhebliche Behinderung des Wettbewerbs (SIEC-Test)vor? | ✔ Freigabe |
Phase II – Vertiefte Prüfung | +90 Arbeitstage | Marktdefinition, Marktmacht, Innovationshemmnisse, vertikale Effekte, Zugang zu Daten, Batterien, Ladeinfrastruktur | ✔ Freigabe (ggf. mit Auflagen) |
Die Prüfung ist zukunftsgerichtet, blickt also nach vorn auf die Konsequenzen: Führt die Fusion dazu, dass das neue Unternehmen (allein oder gemeinsam mit anderen) Verbraucher benachteiligen kann – etwa durch höhere Preise, geringere Auswahl oder gebremste Innovation?
Typische wettbewerbsrechtliche Fragen bei E-Mobilitätsfusionen
Thema | Warum wichtig? | Beispiel aus der Praxis |
---|---|---|
Horizontale Konzentration | Zusammenschluss von direkten Konkurrenten kann Wettbewerb einschränken (z. B. im Kleinwagen- oder Transportersegment) | FCA / PSA (→ Stellantis): Die EU forderte zur Freigabe, dass PSA Produktionskapazitäten an Toyotaabtritt, um weiterhin genug Wettbewerb bei leichten Nutzfahrzeugen zu gewährleisten. |
Vertikale Verflechtungen | Kontrolle über kritische Zulieferteile (z. B. Batteriezellen, Betriebssysteme, Ladeinfrastruktur) kann zur Verdrängung anderer Anbieter führen | PSA / ACC-Batterie-JV: Die Kommission prüfte, ob Stellantis Konkurrenten vom Zugang zu neuen Zelltechnologien ausschließen könnte – dies wurde verneint, da Marktanteile gering blieben. |
Daten & digitale Mobilitätsdienste | Echtzeit-Fahrdaten, Navigationssysteme oder Carsharing-Plattformen können Marktzutritt für andere erschweren | Daimler / BMW: Fusion mobiler Dienste nur unter Auflagen genehmigt – z. B. Öffnung der Ladeplattform für Dritte, Verzicht auf Überlappungen bei Carsharing. |
Innovationswettbewerb | Weniger Unternehmen = weniger Innovationsdruck? Die Kommission prüft R&D-Strategien und interne Dokumente | FCA / PSA: Beide Unternehmen hatten unabhängige Entwicklungszentren – ausreichender Innovationsanreiz blieb erhalten. |
Staatliche Beihilfen | Fusionen, die auf großen Fördermitteln beruhen (z. B. für Batterie-Fabriken oder Ladesäulen), brauchen zusätzlich eine Beihilfeprüfung | Aktuelle Debatte um Lockerung der Beihilferegeln im Rahmen des Green Deal zeigt politische Spannbreite. |
Werkzeugkasten der Kommission bei Fusionen
- Strukturelle Auflagen: Verkauf von Werken, Marken oder Geschäftsbereichen
- Verhaltensauflagen: Verpflichtung zur Weiterbelieferung, Öffnung von Lade-APIs, Fairness beim Datennutzen
- Monitoring und Sanktionen: Bei Verstößen gegen Auflagen bis zu 10 % des weltweiten Umsatzes als Bußgeld
- Zusätzliches Kartellrecht (Art. 101/102 AEUV): Selbst nach Freigabe können Absprachen oder Missbrauch von Marktmacht geahndet werden
- Zusammenarbeit mit nationalen Behörden: Über das Europäische Wettbewerbsnetzwerk (ECN) arbeiten nationale Kartellbehörden eng mit der Kommission zusammen
- Gerichtliche Kontrolle: Unternehmen können Entscheidungen beim Europäischen Gericht oder dem EuGHanfechten
Was bedeutet das für ElektroSchwarzwald oder andere E-Auto-Hersteller?
Ein Unternehmenszusammenschluss kann helfen, die hohen Entwicklungskosten für Batterien zu stemmen oder die grüne Transformation zu beschleunigen – aber nur dann, wenn daraus keine übermäßige Marktmacht oder Wettbewerbsverzerrung entsteht. Die Kommission hat die Aufgabe, beides auszubalancieren:
Wirtschaftspolitisches Ziel | Wettbewerbsziel |
---|---|
Förderung grüner Technologien, Innovation & Klimaziele | Offenheit, Innovation & faire Marktbedingungen im Binnenmarkt |
Ein klug vorbereiteter Zusammenschluss kann Skaleneffekte nutzen und schneller zur Elektrowende beitragen, ohne das Wettbewerbsrecht zu verletzen – wenn die Spielregeln frühzeitig beachtet werden.
