Internationale Beziehung (Definition)
Allg.: Das Geflecht der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und militärischen Beziehungen, wie es in der Zusammenarbeit zwischen den Staaten, den staatlichen und nicht staatlichen Akteuren geformt wird.
Spez.: Teildisziplin der Politikwissenschaft, die sich mit den Bereichen Außenpolitik (einzelner Staaten, z. B. Institutionen und Prozessen der dt. Außenpolitik), internationale Systeme (d. h. das sich aus der Außenpolitik der Staaten ergebende internationale Beziehungsgeflecht) und Internationale Organisationenen (z. B. NATO (Nordatlantikpakt), Vereinte Nationen (UN)) befasst.
Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 7., aktual. u. erw. Aufl. Bonn: Dietz 2020. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Theorien/ Denkschulen der internationalen Politik
Zwischen Macht und Moral: Warum die Theorien der internationalen Politik aktueller sind denn je. Ein Einstimmungstext …
Die internationale Politik wirkt auf den ersten Blick wie ein Kaleidoskop der Ereignisse: ein Krieg in Europa, ein Handelskonflikt in Asien, Klimagipfel in New York, Friedensgespräche im Nahen Osten. Doch wer nur die Schlagzeilen verfolgt, übersieht die tieferen Strömungen, die diese Weltpolitik seit Jahrhunderten prägen. Unter der Oberfläche bewegen sich lange Linien des Denkens – Menschenbilder, Theorien, Deutungsrahmen. Sie helfen, das scheinbar chaotische Geschehen zu ordnen und zu verstehen.
Drei große Theorieschulen stechen dabei hervor: der Realismus, der Liberalismus und der Institutionalismus. Man könnte sagen: drei Brillen, durch die wir auf dieselbe Welt schauen – und drei Menschenbilder, die hinter diesen Brillen stehen.

Der Realismus – Politik als Kampf der Titanen
„Der Starke tut, was er kann, und der Schwache erleidet, was er muss“, schrieb der griechische Historiker Thukydides im Peloponnesischen Krieg. Dieses bittere Diktum könnte das Motto des Realismus sein.
Im realistischen Weltbild ist der Mensch von Natur aus machtgierig, egoistisch, stets auf der Hut vor dem Anderen. Thomas Hobbes sprach vom Naturzustand als „Krieg aller gegen alle“ (bellum omnium contra omnes), in der der Mensch dem Menschen ein Wolf sei (homo homini lupus est) – ein düsteres Menschenbild, das Realisten auch auf Staaten übertragen. In einer Welt ohne „Weltpolizei“ bleibt letztlich nur das eigene Schwert zur Sicherheit.
Das Ergebnis: Staaten sind wie Schachspieler auf einem Brett, das keine Regeln mehr kennt. Frieden? Für Realisten nur ein Zwischenzustand, eine Episode, gesichert durch das Gleichgewicht der Kräfte oder durch nackte Abschreckung.
Wer heute etwa nach Moskau blickt, spürt die unheimliche Aktualität dieser Denkschule. Wladimir Putin agiert im klassischen Muster: Er reklamiert Einflusssphären, setzt auf militärische Gewalt, verweist Anspruch und letztlich auf das Recht des Stärkeren. Es ist ein Rückfall in jene Welt, von der man nach 1990 geglaubt hatte, sie überwunden zu haben (Francis Fukuyama – Das Ende der Geschichte). Alte Männer mit Allmachtsphantasien inszenieren sich als Herren über Raum und Zeit. Der Realismus erklärt dieses Verhalten nüchtern – und ernüchternd.
Aspekte
- Gegenstand: Der Realismus untersucht die Motive und das Verhalten von Staaten in einem anarchischen internationalen System, in dem es keine zentrale Autorität gibt. Er konzentriert sich auf die Machtpolitik, das Kräftegleichgewicht zwischen Staaten und die strategischen Entscheidungen von Regierungen.
- Hauptannahme: Der Realismus betont den egoistischen und machtorientierten Charakter der internationalen Politik. Staaten streben nach Macht und Sicherheit, und die Weltordnung wird von Anarchie und Konkurrenz geprägt.
- Friedensbetrachtung: Realisten betrachten Frieden als vorübergehenden Zustand, der durch das Kräftegleichgewicht zwischen Staaten oder die Furcht vor Strafe aufrechterhalten wird (Balance of Power).
- Sicherheit: Die Sicherheit wird durch die Sicherung nationaler Interessen und den Aufbau militärischer Stärke gewährleistet. Realisten befürworten Abschreckung und Machtprojektion.
- Konfliktursachen: Konflikte entstehen aus dem Streben nach Macht und Ressourcen sowie aus der unvermeidlichen Rivalität zwischen souveränen Staaten.
- Historische Quellen: Die Wurzeln des Realismus reichen zurück zu klassischen Werken der politischen Philosophie wie Thukydides‘ „Der Peloponnesische Krieg“ und Machiavellis „Der Fürst“ sowie wesentlich Thomas Hobbes „Leviathan“. Diese Werke betonen die Bedeutung von Macht, Interessen und Realpolitik in der internationalen Politik.
- Theoretische Grundlagen: Frühe realistische Theoretiker wie Hans Morgenthau und E.H. Carr haben die Grundlagen des Realismus in ihren Werken wie „Politik als Beruf“ und „Die zwanzig Jahre Krise“ gelegt.
Der Idealismus/ Liberalismus – Hoffnung auf Handel und Demokratie
„Wenn der Handel frei ist, ist der Krieg unmöglich“, schrieb der britische Pazifist Norman Angell 1910 in seiner Großen Illusion. Auch wenn er dabei etwas zu optimistisch war, steckt in diesem Satz im Grunde der Kern des Liberalismus: Kooperation lohnt sich mehr als Konfrontation.
Der Liberalismus steht dem Realismus gegenüber. Sein Menschenbild ist optimistischer: Menschen können lernen, vertrauen, kooperieren. Staaten, so die liberale These, sind keine Raubtiere, sondern auch Partner. Frieden sei möglich – und zwar dauerhaft, wenn Demokratien sich vernetzen, Handel treiben und gemeinsame Institutionen aufbauen.
Immanuel Kant träumte im 18. Jahrhundert in seiner Schrift Zum ewigen Frieden davon, dass eine „föderative Vereinigung freier Staaten“ den Krieg überflüssig machen könnte. In der Europäischen Union hat dieser Traum Gestalt angenommen: Frankreich und Deutschland, einst Erzfeinde, sind durch Wirtschaft und Politik so eng verflochten, dass Krieg zwischen ihnen heute unvorstellbar wirkt.
Doch der Liberalismus ist mehr als nur eine naive Utopie. Auch internationale Klimaverhandlungen, Handelsabkommen oder das Völkerrecht sind Ausdruck dieses Denkens. Sie beruhen auf der Überzeugung, dass Kooperation am Ende vorteilhafter ist als Konfrontation.
Aspekte
- Gegenstand: Diese Theorien untersuchen die Rolle von Ideen, Normen und Institutionen in den internationalen Beziehungen. Sie betrachten die Bedeutung von Kooperation, Diplomatie, Handel und die Förderung von zwischenstaatlichen Beziehungen.
- Hauptannahme: Idealisten und Liberale betonen die Möglichkeit internationaler Zusammenarbeit, Institutionen und zwischenmenschlicher Verbindungen. Sie glauben an die Förderung von Werten wie Demokratie und Menschenrechten.
- Friedensbetrachtung: Frieden wird durch die Verbreitung von Demokratie, internationalen Handel und Zusammenarbeit in internationalen Organisationen gefördert.
- Sicherheit: Sicherheit wird durch Kooperation, Diplomatie und den Abbau von Spannungen erreicht. Liberale Institutionen wie die Vereinten Nationen spielen eine zentrale Rolle.
- Konfliktursachen: Konflikte entstehen oft aus Missverständnissen oder fehlender Kooperation, die durch Dialog und Zusammenarbeit gelöst werden können.
- Historische Quellen: Der Idealismus und der Liberalismus ziehen ihre Wurzeln aus Aufklärungsphilosophie und dem Ideal einer gerechten und friedlichen Weltordnung. Die Ideen von Philosophen wie Immanuel Kant, insbesondere sein Werk „Zum ewigen Frieden“, haben den Liberalismus stark beeinflusst.
- Theoretische Grundlagen: Theoretiker wie Woodrow Wilson, der den Völkerbund förderte, und Norman Angell, Autor von „Der Große Illusion“, betonten die Möglichkeit internationaler Kooperation und die Vorteile eines friedlichen, demokratischen Systems.
Der Institutionalismus – Regeln gegen das Chaos
„Macht mag für sich genommen das letzte Wort haben, aber sie wird selten ohne Regeln ausgeübt“, schreibt Robert Keohane, einer der Begründer des Institutionalismus.
Zwischen den düsteren Realisten und den optimistischen Liberalen positioniert sich der Institutionalismus. Er erkennt die anarchische Struktur des internationalen Systems an– es gibt keine Weltregierung, keinen oberster Schiedsrichter. Aber er sagt auch: Institutionen und Regeln können Unsicherheit vermindern.
Institutionen wie die Vereinten Nationen, die Welthandelsorganisation oder die NATO schaffen Vertrauen, indem sie Erwartungen stabilisieren. Sie sind nicht allmächtig, aber sie verhindern, dass jede Interaktion neu im Nebel der Angst stattfindet. Institutionen sind die „Spielregeln“ der internationalen Politik – nicht perfekt, aber oft besser als das Chaos.
Die Pandemie oder die Klimakrise zeigen, wie sehr die Welt auf solche Institutionen angewiesen ist. Kein Staat kann das Virus oder den CO₂-Ausstoß allein bekämpfen. Nur durch verlässliche Regeln und multilaterale Absprachen lassen sich globale Probleme bewältigen.
Institutionalismus:
- Gegenstand: Diese Theorie untersucht, wie internationale Institutionen funktionieren und wie sie zur Schaffung von Vertrauen, Kooperation und Konfliktlösung beitragen. Institutionen wie die Vereinten Nationen, die Welthandelsorganisation (WTO) und bilaterale Abkommen sind zentrale Untersuchungsobjekte.
- Hauptannahme: Der Institutionalismus konzentriert sich auf die Rolle internationaler Institutionen und Normen bei der Schaffung von Frieden und Sicherheit. Institutionen helfen, Kooperationsprobleme zu lösen.
- Friedensbetrachtung: Frieden wird durch die Schaffung von internationalen Regeln und Normen, die Konflikte verhindern oder lösen, gefördert.
- Sicherheit: Internationale Institutionen dienen als Mechanismen zur Konfliktvermeidung und -lösung. Vertrauen und Kooperation werden durch diese Institutionen gefördert.
- Konfliktursachen: Konflikte können durch mangelnde Kooperation oder durch Verstöße gegen internationale Normen und Regeln ausgelöst werden, die von internationalen Institutionen aufrechterhalten werden.
- Historische Quellen: Der Institutionalismus entwickelte sich als Reaktion auf die Erfahrungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie auf die Enttäuschungen bezüglich des Versagens des Völkerbundes. Die Erfahrungen mit internationalen Organisationen dienten als wichtige historische Quellen. Frühe Einflüsse gehen vom niederländischen Rechtsgelehrten Hugo Grotius aus, der bereits im 16. Jahrhundert die Idee einer völkerrechtlichen Regulierung und die eines internationalen Rechtssystems vorantrieb.
- Theoretische Grundlagen: Theoretiker wie Robert Keohane und Joseph Nye, die das Konzept der „Komplexen Interdependenz“ entwickelten, sowie Theorien über Regimewandel und internationale Institutionen prägten den Institutionalismus.
Weil die Abgrenzung manchmal schwer fällt:
Liberalismus und Institutionalismus – die beiden Theorien klingen auf den ersten Blick recht ähnlich, weil beide betonen, dass Kooperation möglich ist. Der Unterschied liegt aber darin, wie sie Kooperation erklären und begründen.
Kurz gesagt glaubt der Liberalismus/ Idealismus, dass Demokratien und Handel sozusagen von innen heraus Frieden schaffen und zwar im Vertrauen auf universelle Werte, Strukturen und „das Gute“ im Menschen/Staat, während der Institutionalismus da etwas skeptischer ist, weshalb er sagt, dass es hier Institutionen braucht, die von außen Kooperation möglich machen, die Regeln setzen, um Egoismus und Eigennützigkeit zu zähmen. So gesehen könnte man sagen, dass der Institutionalismus der etwas realistischere Idealismus ist.
Denken in langen Linien …
Warum sollte man sich mit diesen Theorien befassen? Weil sie den Blick schärfen für das, was im täglichen Nachrichtenstrom unsichtbar bleibt. Sie machen deutlich, dass die internationale Politik mehr ist als ein zufälliges Nebeneinander von Krisen. Sie folgt Logiken, die sich aus Menschenbildern, Machtstrukturen, historischen Entwicklungen und dem Zusammenspiel international aufgestellter Institutionen ableiten lassen.
Die Geschichte zeigt, dass sich Phasen ablösen: Auf Fortschritte der Kooperation folgen Rückfälle in Machtpolitik. Heute erleben wir, wie ein neuer Realismus auf die Bühne zurückkehrt – getragen von Autokraten, die Grenzen neu ziehen und Einflusszonen beanspruchen. Doch zugleich gilt auxch: Ohne liberale, institutionelle und multilaterale Ansätze sind globale Probleme unlösbar. Der Realismus mag die Gegenwart erklären, aber nur der Liberalismus und der Institutionalismus bieten Antworten für die Zukunft.
Der Klassiker des Realismus, Hans Morgenthau, schrieb einst: „Internationale Politik ist ein Kampf um Macht.“ Doch genauso wahr bleibt Kants Vision vom „ewigen Frieden“. Zwischen diesen Polen bewegt sich die Welt – und mit ihr unser Denken.
Theorien der internationalen Politik sind keine staubigen Konstrukte, sondern Deutungsangebote. Sie zeigen, wie wir die Welt sehen können – als Schachbrett der Mächtigen, als Netzwerk der Kooperation oder als Regelwerk der Institutionen. Und immer geht es dabei auch um uns selbst: um das Bild des Menschen, das wir in der Weltpolitik gespiegelt sehen.